Deutsches Haus

Aus Norder Stadtgeschichte
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Deutsches Haus

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Basisdaten
Entstehungszeit 1880
Erbauer Hinderk Ludwig Ploeger
Bauweise verputzter Ziegelsteinbau
Erhaltungszustand erhalten
Genaue Lage Neuer Weg 26-27

26506 Norden

Das Deutsche Haus (früher: Gasthof Zum Deutschen Hause) entstand 1880 aus zwei einst selbstständigen Gebäuden bzw. Grundstücken, die in diesem Jahr zu einem zusammengefasst wurden. Wenngleich das Gebäude vor allem als Hotel bekannt ist, hat es im Laufe seiner Geschichte auch andere Nutzungen erfahren. Seit 2016 ist das Traditionshotel nach seinem wirtschaftlichen Niedergang in neuem Besitz und seither massiven Umbauarbeiten unterworfen.

Geschichte

19. Jahrhundert

Erstmalig erwähnt wurde der rechte Gebäudeteil bereits 1812, als hier eine Geneverbrennerei eines Jan F. Behrends erwähnt wurde.[1] Diese ging jedoch bereits vor 1818 ein.[2][3] 1826 wurde Sielrichter Tammena als Eigentümer genannt, anschließend gehörte das Gebäude einem Holzhändler namens Bonn. Später befand sich hier eine Kaffeehandlung (Busch'sches Kaffeehaus), aus dem 1848 schließlich eine von Jacob G. Eimers betriebene Gastwirtschaft wurde, wie das Norder Stadtblatt am 16. Dezember 1848 verkündete. Eimers benannte das Gebäude auch erstmals Deutsches Haus, was wohl in der aufkommenden Einheits-Nationalstimmung nach der Deutschen Revolution des sonst kleinstaaterisch geprägten Deutschlands zugrunde lag.[2]

Schon zwei Jahre später ging die Gastwirtschaft bereits wieder ein. Das Gebäude wurde zwangsversteigert und vom Zichorienfabrikanten Enno Oldewurtel sowie dem Weinhändler Rykena erworben, die das Gebäude bereits 1859 an Heinrich Christian Bisping weiterveräußerten. Nach dessen Tod heiratete seine Witwe Greetje Bisping, geb. van Oterndorp 1862 den aus Emden stammenden Gastwirt Hinderk Ludwig Ploeger, wodurch dieser in den Besitz der Gastwirtschaft kam und das links vom Stammhaus befindliche Gebäude hinzukaufte.[2][3][4] Auf dem gemeinsamen Grundstück errichtete er 1880 nach dem Abbruch der alten Gebäude das bis heute bestehende Hotel.[2][3] Unter der Leitung von Ploeger entwickelte sich das Deutsche Haus zu einem der angesehensten Hotels der Stadt. Wegen der guten Geschäftslage ließ er später eine zum Gebäude gehörende Scheune zu einem Saal mit Musikbühne, genannt Kaisersaal, umbauen, was für die damalige Zeit in Norden geradezu revolutionär war.[3][5] Das außerordentliche Prestige des Hotels führte wohl auch dazu, dass hier am 14. Juni 1883 das Festessen zur Einweihung der neuen Bahnstrecke abgehalten wurde.

Nach der Gründung des Deutschen Reichs im Jahre 1871 setzte für die Norder Gastwirtschaften eine wirtschaftliche Blütezeit ein, da viele der für die Sommerfrische auf die ostfriesischen Inseln (besonders Norderney) reisenden, wohlhabenden Bürger tidebedingt in Norden einen Zwischenhalt oder sogar eine Übernachtung einlegen mussten. Auch die Zahl der Geschäftsreisenden nahm durch den allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwung zu. Einen deutlichen Abstieg der touristischen Übernachtungen gab es dann jedoch infolge der Erweiterung der Bahnstrecke in Richtung Mole Norddeich im Jahre 1892, die seit 1883 nur bis nach Süderneuland I reichte.[5]

20. Jahrhundert

1903 erwarb Erich Beyer das Hotel von der Witwe des kurz zuvor verstorbenen Ploeger. Auch dieser hatte schon bald mit wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen, der Erste Weltkrieg brachte den Fremdenverkehr dann schließlich gänzlich zum Erliegen. 1918 starb Beyer, ein Jahr später verkaufte seine Witwe das Haus Karl Däling und Harm Peters, die das Gebäude sogleich elektrifizierten.[6] Die Stadt erhielt erst kurz vor Kriegsausbruch einen Anschluss an die Elektrizitätsversorgung.

Doch auch diesen neuen Eigentümern war das Glück wenig gesonnen, sodass sie das Gebäude an den Landkreis Norden veräußerten. Auch das Weinhaus ereilte dieses Schicksal. Während im Weinhaus das Finanzamt einzog, wurde in der ersten und zweiten Etage des Deutschen Hauses das Kreiswirtschaftsamt und eine Wohnung für einen Kreisbediensteten errichtet, die einliegende Gastwirtschaft und der Saal wurden von Peters in Pacht weiterbetrieben.[6]

Schon 1920 kaufte der Schwiegersohn des Erbauers Ploeger, der Hotelier Ebeling von Norderney, das Gebäude vom Landkreis zurück und führte er seiner früheren Bestimmung zurück.[6][7] Wenig später verkaufte er es an Johannes Fleeth, dem es gelang, den Hotelbetrieb auch durch die schwierige Zeit der Rezession und der Inflation zu führen. Mithilfe der Freimaurerloge Zu den drei Sternen errichtete Fleeth im Obergeschoss den sogenannten Logensaal, der später auch Fliegersaal genannt wurde.[6][8] Die Loge gewährte ihm ein zinsloses Darlehen von 1.000 Reichsmark und tagte hier ab dem 7. März 1926, ehe sie sich durch die nationalsozialistische Verfolgung auflösen musste.[8] Den langen Flur vor dem Eingang des Hotels bis zum Saal gestaltete er als Wintergarten, was dem damaligen Zeitgeist und Geschmack entsprach.[6] Am 14. Dezember 1925 gründete sich im Deutschen Haus die Niederdeutsche Bühne.[9]

Eine alte Rechnung aus dem Jahre 1888.

1934 kam das Hotel in den Besitz von Robert und Johanne Meinberg, die es grundlegend renovierten und modernisierten. Bis dahin gab es nicht einmal eine Wasserleitung, sodass sich die Gäste in Porzellanschüsseln mit herbeigeholtem Wasser waschen mussten.[6] Das Ehepaar Meinberg erweiterte das Gebäude auch um Parkplätze und Garagen im Bereich der Großen Hinterlohne, wo sich bis dahin noch Stellplätze für die Pferde der Gäste bzw. Kutscher befanden.[10][11]

Während der Zeit des Nationalsozialismus diente das Deutsche Haus, neben dem Gasthof Zur Börse und dem Schützenhaus, als einer der drei Vereinslokale für die NSDAP Ortsgruppe Norden.[12] Durch den Zweiten Weltkrieg kam der Hotelbetrieb erneut weitestgehend zum Erliegen, während die Gastwirtschaft noch recht gut genutzt wurde. Noch kurz vor Kriegsende rief NSDAP-Kreisleiter Lenhard Everwien am 20. April 1945 eine flammende Rede im Hotelsaal und stimmte die Norder Bürger zum Durchhalten ein. Indes standen die Alliierten bereits vor Leer und trafen Anfang Mai auch in Norden ein.[13]

Nach dem Krieg wurde das Gebäude von kanadischen Besatzungssoldaten beschlagnahmt, doch bereits wenig später wieder freigegeben. Um konkurrenzfähig zu bleiben, investierte Meinberg erneut große Summen in sein Hotel. Er errichtete eine neue Eingangshalle, erbaute den Saal neu und den südlichen Gebäudeflügel (1952) an. Die Innenausstattung wurde großzügig modernisiert.[14][15] Bereits im September 1948 wurde im Saal des Deutschen Hauses der erste Tanzball der Nachkriegszeit abgehalten.[16] Auch Boxturniere des Boxclub Norden fanden hier statt.[14] Ebenso ein Vergleichswettkampf (August 1948) der Norder Ringer mit dem Deutschlandmeister Kraftsportverein Wilhelmshaven, bei denen die Norder ein ruhmreiches Unentschieden erzielen konnten.[17]

1951 wurde im Saal des Deutschen Hauses der Prozess gegen 19 Angeklagte geführt, denen Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie schwere Brandstiftung in Tateinheit mit schwerer Freiheitsberaubung im Zuge der Geschehnisse während der Reichspogromnacht vorgeworfen wurden.[18] Der Prozess gestaltete sich insbesondere wegen des Bestreitens der Vorwürfe seitens der Angeklagten sowie des Fehlens von Zeugen schwierig, da viele von ihnen entweder tot oder wegen ihrer Traumatisierung nicht bereit waren, vor Gericht auszusagen. Zudem lebten einige der überlebenden Zeugen im Ausland und für eine Reise in die junge Bundesrepublik standen keine Devisen zur Verfügung, die das Gericht ihnen für die Anreise zahlen konnte.[19] Schließlich fanden sich auf Vermittlung des Londoner Büros des Jüdischen Weltkongresses sieben Zeugen und Zeuginnen, die schriftlich und vier, die persönlich aussagten, darunter Heinz Ewald Samson.[19][20]

1967 bestehende Pläne für eine Aufstockung um ein viertes Stockwerk wurden hingegen nicht umgesetzt, da die Stadtverwaltung das Bauvorhaben ablehnte.[15] Nach 39 Jahren übergab Meinberg sen. den Hotelbetrieb 1973 an seinen Sohn Herbert Meinberg, der ihn mit seiner Frau Helga erfolgreich weiterführte.[10] Ihnen gelang es, die 1967 aufgegriffenen Pläne umzusetzen und erweiterten das Hotel schließlich 1976 um das begehrte vierte Stockwerk.[15] Weiterhin passten sie es den aktuellsten technischen Gegebenheiten an und richteten eine Kegelbahn ein.[10] Seit etwa Ende der 2000er Jahre firmierte das ehrwürdige Haus unter neuen Eigentümern als Hotel Stadt Norden weiter. Spätestens ab diesem Zeitpunkt ging es bergab, sodass sich die Kundenrezension in ihrer Negativität gegenseitig übertrumpften. Dies führte zu einem baldigen Ende des Traditionshotels.

21. Jahrhundert

2016 wurde das Gebäude an einen estnischen Investor veräußert, der es als Hotel Stadt Norden Betreibergesellschaft mbH verwertete. Trotz vorgeblicher Pläne des Investors, hier mehrere Wohnungen sowie ein Hotel bei Erhalt der historischen Fassade zu errichten, glich das Gebäude seit dem erfolgten, illegalen Teilabriss (ab April 2019) einer Ruine, was immer wieder Gegenstand hitziger Diskussionen im Rat der Stadt Norden war.[21] Auch die konkreten Baupläne zu den Wohnungen, die sich zur Großen Hinterlohne erstrecken sollen, waren Bestandteil von teils heftiger Kritik, glich das Erscheinungsbild doch einem Hochbunker mit Fenstern.[22]

Im Sommer 2021 wurde schließlich bekannt, was bereits lange offensichtlich war. Der estnische Eigentümer hatte das Gebäude entgegen seiner Versprechungen nicht vor dem Verfall bewahrt, sondern vielmehr eine neue Bauruine mit mehreren Gefahrenquellen - unter anderem asbestbelasteten Eternitplatten - hinterlassen. Diese wurden teilweise einfach liegen gelassen, teilweise unsachgemäß entsorgt, was Ermittlungen der Polizei nach sich zog. Die Anteile an der Betreibergesellschaft wurden schließlich von zwei Hamburger Investoren erworben, die die Gefahrenquellen fachgerecht beseitigen ließen und das erneute Gespräch mit dem Bauamt suchten. Dabei möchten die neuen Eigentümer an den bisherigen Plänen des estnischen Investors weitestgehend festhalten und aus dem Gebäudekomplex sowohl ein Hotel als auch ein Mehrparteienwohnhaus machen.[23]

Galerie

Einzelnachweise

  1. Wirteverein für Stadt und Landkreis Norden (1973): Chronik. 70 Jahre Wirteverein für Stadt und Landkreis Norden, Norden, S. 57
  2. 2,0 2,1 2,2 2,3 Canzler, Gerhard (1989): Norden. Handel und Wandel, Norden, S. 125
  3. 3,0 3,1 3,2 3,3 Canzler, Gerhard (1997): Alt-Norden, Weener, S. 116
  4. Genealogische Aufzeichnung zu Greetje van Oterndorp, abgerufen am 16. Dezember 2021
  5. 5,0 5,1 Canzler, Gerhard (1989): Norden. Handel und Wandel, Norden, S. 126
  6. 6,0 6,1 6,2 6,3 6,4 6,5 Canzler, Gerhard (1989): Norden. Handel und Wandel, Norden, S. 127
  7. Brückner, Annemarie / Gerdes, Edo (1984): So war es damals. Bilder aus dem alten Norden, Leer, S. 54
  8. 8,0 8,1 Geschichte der Norder Freimaurerloge, abgerufen am 17. Juni 2021
  9. Haddinga, Johann (2001): Norden im 20. Jahrhundert, Norden, S. 23
  10. 10,0 10,1 10,2 Canzler, Gerhard (1989): Norden. Handel und Wandel, Norden, S. 128
  11. Canzler, Gerhard (1997): Alt-Norden, Weener, S. 117
  12. Forster, Hans / Schwickert, Günther (1988): Norden. Eine Kreisstadt unterm Hakenkreuz, Norden, S. 55
  13. Forster, Hans (1988): Norden - Eine Kreisstadt unterm Hakenkreuz: Dokumente aus der Zeit der Gewaltherrschaft
  14. 14,0 14,1 Undatierter Bericht im Ostfriesischen Kurier über den Boxclub Norden
  15. 15,0 15,1 15,2 Dorsch, Thomas / Wenz, Martin (2003): Norden / Ostfriesland. Denkmalpflegerische Zielplanung für Osterstraße und Neuen Weg, Hameln, S. 24
  16. Canzler, Gerhard (1989): Norden. Handel und Wandel, Norden, S. 245
  17. Ocken, Ihno (1996): Entstehung und Entwicklung des Sports in der Stadt Norden, Norden, S. 12
  18. Gödeken, Lina (2000): Rund um die Synagoge in Norden. Die Geschichte der Synagogengemeinde seit 1866, Aurich, S. 391
  19. 19,0 19,1 Gödeken, Lina (2000): Rund um die Synagoge in Norden. Die Geschichte der Synagogengemeinde seit 1866, Aurich, S. 392
  20. Gödeken, Lina (2000): Rund um die Synagoge in Norden. Die Geschichte der Synagogengemeinde seit 1866, Aurich, S. 393
  21. Online-Bericht der Ostfriesen Zeitung vom 7. Oktober 2019, abgerufen am 7. Juni 2021
  22. Bauzeichnungen des Architekturbüros, abgerufen am 7. Juni 2021
  23. Bericht der Nordwest-Zeitung vom 6. Juli 2021, abgerufen am 16. Dezember 2021

Siehe auch