Gasthof Zur Börse

Aus Norder Stadtgeschichte
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Gasthof Zur Börse

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Basisdaten
Entstehungszeit vor 1850
Erbauer unbekannt
Bauweise Ziegelsteinbau
Erhaltungszustand 1972 abgebrochen
Genaue Lage Am Markt 22

26506 Norden

Der Gasthof Zur Börse (auch: Ratsstuben; später auch Das Braune Haus) war eine Am Markt 22 befindliche Gastwirtschaft. 1948 wurde der zugehörige Saal zu einem Kino, dem Metropol-Theater umgebaut, das noch bis 1970 existierte. Im Oktober des genannten Jahres wurde der hintere Teil abgebrochen und dem benachbarten Supermarkt Anton Götz einverleibt, der vordere Teil folgte zwei Jahre später.

Geschichte

Der Gasthof existierte bereits seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, wobei seine genaue Anfänge noch nicht geklärt sind. Der Gastwirt Willms betrieb hier seinerzeit noch eine Korn-, Kalk- und Sandhandlung. Sein Nachfolger G. König baute 1898 einen Saal an.[1] Bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg gehörten auch Stallungen zu dem Gebäude, wo die Bauern aus der Umgebung ihre Pferde zu den Markttagen unterzustellen pflegten.[2]

1903 wurde im Gasthof der Wirteverein für Stadt und Landkreis Norden gegründet, aus dem später der DEHOGA Kreisverband Norden erwuchs.[3] Zum erstem Vorsitzender wurde Peter Remmers, gewählt.[3][4] Dieser hatte den Gasthof am 1. Oktober des Jahres übernommen.[1][2] Remmers ließ die Kornlager noch bis 1927 bestehen.[2]

Von 1923 bis 1926 war der Gasthof das Stammlokal der Freimaurerloge Zu den drei Sternen, die nachfolgend in das Deutsche Haus wechselten.[5] Am 15. April 1926 führte die erst etwa fünf Monate zuvor gegründete Niederdeutsche Bühne hier ihr erstes Theaterstück, die Komödie De Vergantschoster der deutschen Schriftsteller Alma Rogge auf.[6] Im gleichen Jahr feierte die Feuerwehr Norden im Gasthof ihr 40-jähriges Bestehen. Gastwirt Remmers von 1918 bis 1937 der Hauptmann der Norder Wehr.[7]

Kurz nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurden 27 Sozialdemokraten und Kommunisten von diesen am 3. Mai 1933 im Gasthof schwer misshandelt.[8][9] Die NSDAP erklärte den Gasthof kurz zuvor zu ihrem Parteilokal.[9] Statt einzugreifen stellte der Gastwirt das Radio auf volle Lautstärke, da der durch die Misshandlung entstandene Lärm bis auf die Straße drang.[10] Die Täter wurden nach dem Krieg zu Freiheitsstrafen zwischen drei Monaten und zwei Jahren verurteilt.[11]

Im November 1934 wird von hier aus das von Marie Ulfers verfasste Hörspiel Dat Arfdeel ut Ostindien (übersetzt: Das Erbteil aus Ostindien) via Rundfunk übertragen, das von den Schauspielern der Niederdeutschen Bühne eingespielt wurde.[12]

Seit dem 31. März 1933 (nach anderen Quellen seit dem 26. April) war die Börse das offizielle Sturmlokal der Norder NSDAP, die hier nicht nur einen Stammtisch, sondern auch ihr Aktionskomittee zur Planung von Aktionen gegen jüdische Mitbürger einrichtete.[13][14] In dieser Zeit wurde das Gebäude auch braun angestrichen, um die Zugehörigkeit zu den braun gekleideten Nationalsozialisten zu zeigen.[15] Als 1942 und 1943 mehrere Ladungen mit wertvollen Möbeln und anderen Gegenständen im Norder Hafen ankamen, lagerten die Nationalsozialisten große Teil davon im Gasthof.[16]

Wenige Stunden nach dem verheerenden Luftangriff auf Emden am 6. September 1944, bei der die ohnehin schon schwer beschädigte Stadt nahezu restlos zerstört wurde, kamen im Gasthof annähernd hundert Norder Frauen zusammen und schmierten gut 10.000 Doppelschnitten für die Emder Bürger. Nahezu 150 Pfund Butter sowie 350 Pfund Wurst wurden dabei in nur wenigen Stunden verarbeitet.[17]

Im Oktober 1948 - die Eigentümer hatten ihren Besitz altersbedingt verkauft - wurde der Gasthof zu einem Kino umgebaut, das später als Metropol-Theater bekannt wurde und zuletzt kaum mehr als ein schmuddeliges Pornokino war. 1970 wurde das Gebäude von Anton Götz erworben, der den hinteren Gebäudeteil abbrechen ließ.[18] Das Vorderhaus mit einer Schankwirtschaft blieb noch bis 1972 stehen und wurde seit 1950 von Wilhelm Franke betrieben.[1][19] Seit spätestens 1952 wurde die Gastwirtschaft unter dem Namen Ratsstuben geführt.[2]

Später dehnte Götz seinen Supermarkt auf das gesamte ehemalige Kinogelände aus.[1][18] Bis zum Abbruch 1972 blieb der Gasthof dann auch der Hauptveranstaltungsort für die Stücke der Niederdeutschen Bühne, seitdem nutzt sie den im selben Jahr errichteten Theatersaal im Schulzentrum Ekel. Eine kleine Gastwirtschaft verblieb jedoch auch in dem neuen Komplex, die von dem Gastwirt Bruno Fiebig geführt wurde.[20]

Trivia

1602 besetzte Graf Enno III. die Stadt Norden, nachdem diese ihm die Huldigung verweigert hatte. Hierbei kam es in dem Vorgängerbau des Gasthofes zu einem Scharmützel zwischen den Söldnern Ennos und Hinrich von Lingen, der die Soldaten nicht bei sich einquartieren lassen wollte.[21]

Galerie

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 1,3 Brückner, Annemarie / Gerdes, Edo (1984): So war es damals. Bilder aus dem alten Norden, Leer, S. 85
  2. 2,0 2,1 2,2 2,3 Wirteverein für Stadt und Landkreis Norden (1973): Chronik. 70 Jahre Wirteverein für Stadt und Landkreis Norden, Norden, S. 51
  3. 3,0 3,1 WirtA NW WAN K 5
  4. Feuerwehr Norden (1986): 100 Jahre Freiwillige Feuerwehr der Stadt Norden, Norden, S. 46
  5. Geschichte der Norder Freimaurerloge, abgerufen am 17. Juni 2021
  6. Haddinga, Johann (2001): Norden im 20. Jahrhundert, Norden, S. 23
  7. Feuerwehr Norden (1986): 100 Jahre Freiwillige Feuerwehr der Stadt Norden, Norden, S. 46
  8. Haddinga, Johann / Stromann, Martin (2001): Norden/Norddeich. Eine ostfriesische Küstenstadt stellt sich vor, Norden, S. 46
  9. 9,0 9,1 Haddinga, Johann (2001): Norden im 20. Jahrhundert, Norden, S. 29
  10. Haddinga, Johann (2001): Norden im 20. Jahrhundert, Norden, S. 32
  11. Haddinga, Johann (1988): Stunde Null. Ostfrieslands schwerste Jahre, Norden, S. 210
  12. Haddinga, Johann (2001): Norden im 20. Jahrhundert, Norden, S. 24
  13. Ökumenischer Arbeitskreis (2021): Kleiner Rundgang durch Norden, Norden, S. 6
  14. Ostfriesischer Kurier vom 31. März 1933
  15. Forster, Hans / Schwickert, Günther (1988): Norden. Eine Kreisstadt unterm Hakenkreuz, Norden, S. 53
  16. Haddinga, Johann (2001): Norden im 20. Jahrhundert, Norden, S. 41
  17. Haddinga, Johann (1995): Kriegsalltag in Ostfriesland, Norden, S. 154
  18. 18,0 18,1 Geschichte des Metropol-Theaters, abgerufen am 17. Juni 2021
  19. Wirteverein für Stadt und Landkreis Norden (1973): Chronik. 70 Jahre Wirteverein für Stadt und Landkreis Norden, Norden, S. 39
  20. Wirteverein für Stadt und Landkreis Norden (1973): Chronik. 70 Jahre Wirteverein für Stadt und Landkreis Norden, Norden, S. 51
  21. Cremer, Ufke (1955): Norden im Wandel der Zeiten, Norden, S. 54

Siehe auch