Herrnhuter Brüdergemeine

Aus Norder Stadtgeschichte
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Herrnhuter Brüdergemeine

Basisdaten
Gründung 7. Mai 1757
Auflösung 13. Februar 1898
Rechtsform Religionsgemeinschaft
Hauptsitz Am Markt 49

26506 Norden

Die Herrnhuter Brüdergemeine (fälschlich manchmal auch: (Herrenhuter) Brüdergemeinde) war eine Religionsgemeinschaft in Norden. Sie war Teil der Herrnhuter Brüdergemeine, einer aus Böhmen kommenden reformatorischen Bewegung und hatte ihren Sitz zuletzt in der Herrnhuter Kapelle am westlichen Marktplatz.

Geschichte

Erste Anhänger der Herrnhuter Bewegung lassen sich in Norden bereits für 1738 nachweisen. Ufke Cremer vermutete, dass es sich dabei um Handwerker aus dem niederländischen Zeist sowie aus der Schweiz gehandelt hat.[1][2] Während es in der Schweiz um diese Zeit noch keine Herrnhuter Gemeine gab, hatte sich in s´Heerendijk bei IJsselstein bereits 1736 eine Herrnhuter Gemeinschaft konstituiert. Sie war die erste europäische Brüdergemeine außerhalb von Herrnhut (Sachsen) und diente den Missionaren als sogenanntes Posthaus und als Zwischenstation auf dem Weg nach Übersee.[3] Ab 1745 übernahm diese Funktion die neu gegründete Brüdergemeine im nur 25 Kilometer von s´Heerendijk entfernten Zeist, wohin die Mitglieder der s´Heerendijker Kolonie bis 1760 in Etappen umzogen.[4]

Zwischen den Herrnhutern in Norden und in Zeist bestanden in den ersten Jahrzehnten rege Verbindungen. So begaben sich zum Beispiel im Frühjahr 1755 Norder Mitglieder auf die nach damaligen Verhältnissen beschwerliche Reise nach Zeist, um dort mit dem aus England zurückgekehrten Grafen Nikolaus Ludwig von Zinzendorf, dem Begründer der Herrnhuter Bewegung, mehrere Wochen zu verbringen.[4] Wesentlich gefördert wurde die Ansiedlung zudem durch die preußische Wirtschaftshilfe für Ostfriesland, was die als fleißig und strebsam geltenden Herrnhuter anlockte.[5]

Eine wichtige Rolle bei den herrnhuterischen Anfängen in Norden spielte der Mennonitenprediger Johannes Deknatel.[6] Der gebürtige Norder war ab 1720 Hilfsprediger und fünf Jahre später Inhaber einer Predigerstelle der Mennonitengemeinde Amsterdam. 1736 kam es dort zu einer Begegnung zwischen ihm und Zinzendorf.[7] Sie führte dazu, dass sich Deknatel der herrnhuterischen Theologie öffnete, ohne seine mennonitischen Grundüberzeugungen aufzugeben. Ende der 1730er Jahre richtete er im Haus seiner in Norden wohnhaften Schwester, einer verwitweten Blaupot, einen Hauskreis ein, aus dem sich 1742 regelmäßige gottesdienstliche Zusammenkünfte entwickelten. Später wurden die Gottesdienste in einem angemieteten Saal im Hotel Heeren-Logement (Am Markt 50), abgehalten. 1776 konnte das Hotel von der Brüdergemeine käuflich erworben werden.[8]

Saal im Hotel Heeren-Logement, genutzt als Gottesdienstraum (um 1800).

1748 konstituierte sich der Herrnhuter Kreis als Sozietät und ab 1757 - verbunden mit der Einführung ihres ersten Predigers am 7. Mai 1757 - als Stadtgemeine Norden. Das letztgenannte Datum galt den Norder Herrnhutern in der Folgezeit als offizieller Gründungstag ihrer Gemeinde.[9] Dies bestätigt auch eine Gedenktafel, die ihren ursprünglichen Platz in der Herrnhuter Kapelle hatte und heute im Alten Rathaus zu besichtigen ist.

Das Gemeindeleben konnte sich unter der ersten preußischen Herrschaft Ostfrieslands (1744-1807) frei von staatlichen Repressionsmaßnahmen entfalten, was wohl auf die besonderen Privilegien zurückzuführen ist, die das Königreich Preußen den Herrnhutern gewährt hatte. Für 1773 kann sogar die Einrichtung einer eigenen Schule belegt werden.[10][2] In den von Christian Gottlieb Frohberger herausgegebenen Briefen über Herrnhut und die evangelische Brüdergemeine heißt es: "Zu Norden in Ostfriesland ist auch eine kleine Brüdergemeine, die ihr öffentliches Versammlungshaus hat und daselbst in ungestörter Freiheit ihren Gottesdienst hält."[11] In den zeitgenössischen Ortsbeschreibungen und Reisehandbüchern werden die Norder Herrnhuter gleichberechtigt neben den anderen Kirchen und der jüdischen Gemeinde erwähnt. So heißt es zum Beispiel in Baedekers Handbuch für Reisende: "Fünf christliche Gemeinden verschiedener Confessionen, darunter Mennoniten und Herrnhuter, leben hier sammt einer israelitischen Gemeinde friedlich nebeneinander."[12]

Im Mai 1848 stellte die Herrnhuter Stadtgemeine zweimal pro Woche die Räumlichkeiten ihres Gemeindehaus (Am Markt 49) einer Strick-, Näh- und Spinnschule für bedürftige Mädchen zur Verfügung. Träger dieser sozialen Einrichtung war der Norder Frauenverein, dem ausschließlich die Ehefrauen führender Norder Persönlichkeiten als Mitglieder angehörten. Das Amt der Vereinspräsidentin hatte ab 1858 Peta van Hülst, Ehefrau des Mennonitenpredigers Laurenz van Hülst, inne.[1]

Anfang der 1860er Jahre verkaufte die Herrnhuter Gemeine einen Teil ihres Anwesens an die Stadt Norden. Das (ehemalige) Hotel Heeren-Logement wurde abgerissen und an seiner Stelle die Marktschule errichtet. Sie löste die erheblich zu klein gewordene Lutherischen Klassenschule an der Ludgerikirche ab und diente knapp 100 Jahre den Kindern aus dem südlichen und südwestlichen Teil der Stadt als Volksschule. Heute befindet sich an ihrer Stelle das Haus des Handwerks.

Die Herrnhuter errichteten in den Folgejahren auf dem Grundstück (Am Markt 49) eine kleine Kapelle, die am 7. November 1876 ihrer Bestimmung übergeben wurde. Es handelte sich bei ihr um einen schlichten turmlosen Kirchbau im neoromanischen Stil. Nach Abriss der alten Norderneyer Inselkirche im Jahr 1878 wurde deren Orgel aus dem Jahr 1842 nach Norden umgesetzt. Nur wenig mehr als zwei Jahrzehnte diente das Gebäude den Herrnhutern als Gotteshaus. Am 13. Februar 1898 löste sich die Herrnhuter Stadtgemeine Norden durch einen Gemeindebeschluss selbst auf. Die Kapelle ging 1905 in den Besitz der reformierten Gemeinde über und diente ihr rund 65 Jahre als städtische Außenstelle ihrer außerhalb der Stadtgrenzen gelegenen Kirche in Bargebur. Auch die Landeskirchliche Gemeinschaft nutzte die ehemalige Herrnhuter Kapelle gastweise für ihre wöchentlichen Gemeinschaftsstunden. Der letzte Gottesdienst fand am 2. August 1970 statt. Anfang der 1970er Jahre wurde sie abgerissen und durch einen doppelstöckigen Flachbau, dem heutigen reformierten Gemeindehaus, ersetzt.[9]

Bedeutung für die Stadt

Die Mitgliederzahl der Norder Gemein(d)e lag selten über 30 (1811: 39)[13], dennoch hat sie in den fast 160 Jahren ihres Bestehens für die Wirtschaft der ostfriesischen Kleinstadt sowie für das kirchliche Leben in Ostfriesland eine nicht zu unterschätzende Bedeutung gehabt. Sie brachte "tüchtige Gewerbetreibende und erwünschte Handwerker" niederländischer und Schweizer Herkunft nach Norden. Dazu gehörten Gerber, Seifensieder, Roßmüller, Brauer, Uhrmacher, Schneider und Schuster, aber auch Händler und Kaufleute.[1] Die von einem der Gemeindemitglieder erbaute Lederfabrik wird in einem Reiseführer von 1791 gar als Sehenswürdigkeit beschrieben.[14]

Beim Blick auf den kleinen Mitgliederkreis darf der große Kreis von Freunden der Herrnhuter Bewegung nicht übersehen werden. Die Freunde blieben Mitglieder ihrer angestammten Kirchen, trafen sich aber an verschiedenen Orten Ostfrieslands zu privaten Erbauungszusammenkünften und wurden in ihrem Glauben und Leben von der Herrnhuter Frömmigkeit geprägt. Ein Beispiel dafür ist der bereits erwähnte Mennonitenprediger Johannes Deknatel. Neben dem Einsatz der Herrnhuter Missionare waren es vor allem die Literaturarbeit sowie das reichhaltige geistliche Liedgut der Herrnhuter, das Menschen mit der Brüdergemeine in Kontakt brachte. Darüber hinaus wirkte sich auch „die Aktivität der Herrnhuter auf dem Gebiet der äußeren Mission“ befruchtend auf die landeskirchlichen Gemeinden Ostfrieslands und ihre Verbände aus. Sowohl die 1798 gegründete ostfriesische Missionssocietät zum Senfkorn als auch die Ostfriesische Evangelische Missionsgesellschaft wurden nicht unwesentlich von den Herrnhutern beeinflusst. In den ersten Jahrbüchern dieser Gesellschaften finden sich umfassende Berichte über das missionarische Engagement der Brüdergemeine in Grönland, Labrador, Westindien, Suriname und unter den amerikanischen Ureinwohnern. Kollekten, die man in den lutherischen und reformierten Gemeinden Ostfrieslands für diese Missionsarbeit zusammenlegte, wurden über den Prediger der Herrnhuter Gemeine Norden ihrem Zweck entsprechend weitergeleitet.[9]

Prediger

Die Norder Prediger stammten nicht nur aus den deutschen Staaten. Unter ihnen finden sich Geistliche mährischer, dänischer, schweizerischer und sogar grönländischer Herkunft. Nicht alle übernahmen das Norder Predigeramt mit Begeisterung. So schrieb der Gemeinhelfer Friedrich Christian Cunow (1751–1829) in seiner Autobiographie: "Im Jahr 1780 wurde ich als Arbeiter und Prediger des Gemeinleins zu Norden in Ostfriesland berufen, welchen Antrag ich zwar blöde, im Gefühl meiner Armuth und Schwachheit, aber im Vertrauen auf den Herrn, dessen Kraft in den Schwachen mächtig ist, freudig aus Seiner Hand annahm.". Für andere Geistliche spielten im Blick auf den Dienstantritt in Norden eher praktische Erwägungen eine Rolle. Christian August Stegmann (1732–1809) zum Beispiel wollte seiner kränkelnden Ehefrau eine beschwerliche Überlandreise nach Amsterdam, wohin er eigentlich berufen war, ersparen. Die Unitäts-Ältesten-Conferenz schlugen daraufhin vor, mit dem bereits erwähnten Prediger Cunow die Dienstorte zu tauschen.[15]

Von bis Name
1761 1770 Heinrich Nitschmann
1770 1780 Heinrich Georg Gerner
1780 1783 Christian Friedrich Cunow
1783 1790 Christian August Stegmann
1790 1791 Johann Ulrich Willy
1791 1793 Lorenz Wilhadus Fabricius
1793 1797 Christian Gotthelf Icke
1797 1799 Johann Gottlieb Erxleben
1799 1801 Johann Hermann Philipp Hammerich
1801 1801 Carl Bernhard Garve
1801 1809 Johannes Nielsen
1809 1810 Carl Bernhard Garve
1811 1836 Jakob Friedrich Plessing
1837 1850 Samuel Brunner
1852 1856 Johannes Ernst Mentzel
1856 1874 Heinrich Bernhard Schopmann
1875 1896 Ferdinand Conrad Ludwig Maasberg
1896 1898 Wilhelm Heinrich Fürstenberg

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 Cremer, Ufke (1955): Norden im Wandel der Zeiten, Norden, S. 80
  2. 2,0 2,1 Cremer, Ufke (1955): Norden im Wandel der Zeiten, Norden, S. 80
  3. Mettele, Gisela (2009): Weltbürgertum oder Gottesreich: Die Herrnhuter Brüdergemeine als globale Gemeinschaft 1727-1857, Göttingen, S. 46
  4. 4,0 4,1 Verbeek, Jacob Wilhelm (1845): Des Grafen Nicolaus Ludwig von Zinzendorf Leben und Charakter in kurzgefasster Darstellung, Gnadau, S. 313
  5. Rack, Eberhard (1967): Besiedlung und Siedlung des Altkreises Norden, Münster, S. 48
  6. von Schlachta Astrid (2005): Mit Religions Streitigkeiten wollen wir uns nicht befassen. Begriffe und Konzepte im herrnhutisch-hutterischen Verhältnis. In: Mennonitische Geschichtsblätter 62/2005. S. 51–76
  7. Biographie des Johannes Deknatel in der Personendatenbank der Ostfriesischen Landschaft
  8. Canzler, Gerhard (2005): Die Norder Schulen, Weener, S. 121
  9. 9,0 9,1 9,2 Smid, Menno (1974): Ostfriesische Kirchengeschichte, Band VI in der Reihe Ostfriesland im Schutze des Deiches, Pewsum, S. 533
  10. Ufke Cremer
  11. Frohberger, Christian Gottlieb (1796): Briefe über Herrnhut und die evangelische Brüdergemeine nebst einem Anhange, Bautzen, S. 17
  12. Baedeker, Karl (1869): Deutschland und Österreich. Handbuch für Reisende, Koblenz, S. 83
  13. Cremer, Ufke (1934): Die Einwohner der Stadt Norden im Jahre 1811, Norden, S. 14
  14. Gilbert, Ludewig Wilhelm (1791): Handbuch für Reisende durch Deutschland, Leipzig, S. 385
  15. Senft, Christoph Ernst (1861): Nachrichten aus der Brüder-Gemeine, Gnadau, S. 63

Siehe auch