Lenhard Everwien

Aus Norder Stadtgeschichte
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Portrait von Lenhard Everwien (um 1943).

Lenhard Everwien (* 6. Oktober 1897 in Hamswehrum; † 25. Oktober 1971 in Norden) war während der Zeit des Nationalsozialismus NSDAP-Kreisleiter im Landkreis Norden und kurze Zeit auch des Landkreis Emden. Unter seiner Leitung wurde die Synagoge in der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 in Brand gesetzt und infolge dessen zerstört.

Leben

Der gebürtige Hamswehrumer Everwien begann 1912 eine Ausbildung zum Bäcker. Von 1916 bis 1918 nahm er als Soldat am Ersten Weltkrieg teil.[1] Nach Kriegsende machte er seinen Meisterbrief und arbeitete seit 1923 als Bäckermeister und Kaufmann in Woltzeten. Von 1929 bis 1931 saß Everwien als Beigeordneter im Gemeinderat der Gemeinde Woltzeten und schloss sich am 1. April 1930 der NSDAP an. Bereits 14 Tage später wurde er zum Stützpunktleiter und am 15. Januar 1931 zum Stellvertreter des NSDAP-Kreisleiters Johann Menso Folkerts ernannt. Im selben Jahr erfolgte seine Wahl zum Bürgermeister in Woltzeten. Von Mai bis Oktober 1932 war er Vorsitzender des NSDAP-Kreisgerichts.[1]

Auf Vorschlag Carl Rövers, Gauleiter des Gaus Weser-Ems von 1929 bis 1942, wurde er von Adolf Hitler am 12. Januar 1936 zum Kreisleiter und damit zum Nachfolger Folkerts’ ernannt, der wegen seiner Weigerung, aus der Kirche auszutreten, entlassen worden war.[2][3] Aus der bislang nebenberuflichen wurde damit eine hauptberufliche Parteitätigkeit. Lenhard Everwien unterstanden die 28 NSDAP-Ortsgruppen im Landkreis Norden sowie die drei Norder Ortsgruppen.[1] Zu seinen Machtbefugnissen gehörte es auch, "öffentliche und nichtöffentliche Veranstaltungen und Handlungen, die der Zielsetzung der NSDAP zuwiderliefen", zu unterbinden. 1933 wurde Everwien Mitglied des Kreistags Norden. 1935 erließ das nationalsozialistische Regime die Deutsche Gemeindeordnung. Sie erweiterte die politische Einflussnahme der NSDAP-Kreisleiter. Dadurch erhielt auch Everwien das Recht, Personen für die Besetzung von politischen Ämtern (Bürgermeister, Gemeinderäte, Beigeordnete) vorzuschlagen. Von 1939 bis 1940 war Everwien zeitweise Kreisleiter der NSDAP des Landkreises Emden.[4]

Everwien empfängt Otto Ites als ersten Ritterkreuzträger des Eisernen Kreuzes der Stadt am 14. April 1942 vor der Norder NDSAP-Parteizentrale (heute Polizeikommissariat).

In der sogenannten Reichspogromnacht 1938 wurde unter Everwiens Leitung die Synagoge der jüdische Gemeinde niedergebrannt. Zur Nachtzeit erhielt dieser einen Anruf seiner Vorgesetzten in Oldenburg und Emden. Er erhielt den Befehl, alle vor Ort verfügbaren Kräfte für eine Vergeltungsaktion gegen die Juden bereit zu halten. Parallel dazu wurde die Norder Feuerwehr über die geplante Aktion informiert. Sie sollte nicht eingreifen und sich darauf beschränken, ein Übergreifen der Flammen auf umliegende Häuser zu verhindern. Um das zu gewährleisten, war sie bereits vor dem Brandanschlag vor Ort. Gemeinsam mit zwei anderen SA-Mitgliedern organisierte Everwien daraufhin Benzin bei einer Norder Tankstelle, während andere SA-Mitglieder die vorgesehene Brandstelle mit Seilen absperrten.[5] Nach einigen missglückten Versuchen ging die Synagoge schließlich in Flammen auf und brannte bis auf die Grundmauern nieder. Die Verantwortung dafür schoben die Nationalsozialisten noch in der Nacht dem Synagogendiener sowie dem Lehrer Klein zu. Anschließend wurde die Synagogenruine einem Norder Altwarenhändler zur Beseitigung und Wiederverwertung der Überreste übergeben.[6]

Am 5. Oktober 1942 trat Everwien als Nachrücker für den ausgeschiedenen Abgeordneten Lühr Hogrefe in den Reichstag ein, dem er bis zum Ende der NS-Herrschaft im Frühjahr 1945 als Vertreter des Wahlkreises 14 (Weser-Ems) angehörte.

Everwiens vorletzter öffentlicher Auftritt datiert auf den 20. April 1945. Bei einer Rede anlässlich des Führergeburtstags im vollbesetzten Saal des Deutschen Hauses gelobte er unter anderem die "unwandelbare Treue" der Nationalsozialisten zum Führer und schloss seine Rede mit den Worten: "Die Ostfriesen werden – wie ihre Vorfahren – stur und verbissen kämpfen, sich durch nichts irre machen lassen, bis der Sieg errungen ist!" Zum Zeitpunkt dieser Ansprache standen die alliierten Streitkräfte bereits im südlichen Ostfriesland bei Leer.[7] Seine letzte öffentliche Rede hielt Everwien am 2. Mai 1945. Anlass war eine Trauerfeier für Adolf Hitler, die im NSDAP-Kreishaus (heute Polizeikommissariat) am Marktplatz stattfand. Wenige Tage später wurde er verhaftet und interniert.[2]

Bericht des Ostfriesischnr Kuriers über den Tod Everwiens.

In zwei Prozessen wurde Everwien 1948 wegen Denunziation und Brandstiftung in der Norder Synagoge zu vier Jahren Zuchthaus und neun Monaten Gefängnis verurteilt. Auch wurden ihm für einen Zeitraum von vier Jahren die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt. Die Bielefelder Spruchkammer verurteilte ihn wegen der Zugehörigkeit zu einer verbrecherischen Organisation 1949 zu einer weiteren Gefängnisstrafe, die aber auf seine Internierungshaft angerechnet wurde.[2]

Am 25. Oktober 1971 starb Everwien bei einem Zusammenstoß mit einem Zug. Er kam vom Friedhof und überquerte mit seinem Fahrrad den unbeschrankten Bahnübergang am Barenbuscher Weg / Kiefernweg. Dabei achtete er nicht auf die Warnsignale und auch nicht den Zuruf eines wartenden Autofahrers, sodass er von einem herannahenden Zug erfasst wurde. Er verstarb noch vor Ort an seinen schweren Verletzungen.[8] Bis heute ist unklar, ob es sich dabei um einen Unfall oder einen Suizid gehandelt hat.

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 Forster, Hans (1988): Norden - Eine Kreisstadt unterm Hakenkreuz: Dokumente aus der Zeit der Gewaltherrschaft
  2. 2,0 2,1 2,2 Lüpke-Müller, Inge (1998): Eine Region im politischen Umbruch. Der Demokratisierungsprozess in Ostfriesland nach dem Zweiten Weltkrieg, Aurich, S. 215
  3. Haddinga, Johann (2001): Norden im 20. Jahrhundert, Norden, S. 34
  4. Rademacher, Michael (2006): Deutsche Verwaltungsgeschichte von der Reichseinigung 1871 bis zur Wiedervereinigung 1990. Stadt und Landkreis Emden, Osnabrück
  5. Gödeken, Lina (2000): Rund um die Synagoge in Norden. Die Geschichte der Synagogengemeinde seit 1866, Aurich, S. 304
  6. Fraenkel, Daniel (2005): Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen. Wallstein, Göttingen, S. 1122–1139
  7. Haddinga, Johann (1988): Stunde Null. 1944–1948. Ostfrieslands schwerste Jahre, Norden, S. 54
  8. Bericht im Ostfriesischen Kurier vom 26. Oktober 1971

Siehe auch