Ostfriesische Häuptlinge

Aus Norder Stadtgeschichte
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Die Ostfriesischen Häuptlinge (friesisch: Hovetlinge bzw. Hovedlinge) setzten sich ab dem 14. Jahrhundert als Machthaber entgegen der Prinzipien der Friesischen Freiheit durch und höhlten die egalitären dieses uralten Vorrechtes der Friesen aus. Mit dem Erstarken der Cirksena verschwanden auch die ostfriesischen Häuptlinge in ihrer ursprünglichen Form, doch konnten sich viele von ihnen weiteren Einfluss sichern.

Geschichte

Der Legende nach erhielten die Friesen nach ihrer siegreichen Heimkehr aus Italien, wo sie für den legendären Frankenkönig Karl den Großen die Römer besiegt hatte, die Freiheit für sich und ihre Nachkommen geschenkt: Die Friesische Freiheit war geboren. Über Jahrhunderte konnten die Friesen sich dieses Privileg bewahren und unterstanden damit keinem Lehnsherren bzw. keiner zentralen Herrschaft. Damit standen sie im krassen Gegensatz zu dem großen Teil der unfreien Bevölkerung des europäischen Mittelalters. Neben der persönlichen Freiheit jedes Einzelnen wurde auch die Macht geteilt. Die Friesen organisierten ihr Gemeinwesen in - mehr oder minder - demokratischen Gemeinden, bei denen theoretisch jeder gleichberechtigt war, die tatsächlichen Machtverhältnisse jedoch an Besitz gebunden waren und die öffentlichen Ämter diesen als Bedingung hatten.

Aus den Reihen der besitzenden Schicht, insbesondere den wohlhabenden (Groß-)Bauern wurden die sogenannten Redjeve (lateinisch: consules) in jährlichen Wahlen bestimmt, die das regierende und rechtsprechende Gremium stellten und dem ein Triumvirat von drei Männern nebst einem Sprecher (lateinisch: orator) vorstand. Insbesondere die Mitglieder der großen und reichen Familien bekleideten die öffentlichen Ämter. Statussymbole dieser Familien waren ab dem 13. Jahrhundert Steinhäuser, aus denen später die ostfriesischen Wehrhäuser und Burgen hervorgingen sowie kleine Söldnerheere. Damit hoben sie sich von den meisten anderen ab, denn Steine waren in Anbetracht mangelnder natürlicher Vorkommen in unserer Region, ein knappes und damit teures Gut. Die meisten Menschen wohnten in ärmlichen Hütten aus Lehm oder anderen, einfachen Baustoffen.

Diese egalitäre Ordnung konnte sich bis in das eingehende 14. Jahrhundert erhalten. Doch durch verheerende Seuchen (vor allem die Pest), Missernten und vor allem Sturmfluten (insbesondere die Zweite Marcellusflut und die Erste Dionysiusflut) kam es zu einem regelrechten Massensterben und Hungersnöten. Diese katastrophalen Bedingungen hatten zur Folge, dass die bisherige Ordnung verlorenging und die bereits einflussreichen Familien ihre Machtposition in dem politischen Chaos ausbauen konnten. Die Eliten lernten rasch, ihre Autorität nicht mehr vom Willen der Gemeinden abzuleiten, sondern als dynastischen Besitz zu verstehen und zu verteidigen.[1] Die Bevölkerung hatte indes um ihr Überleben zu kämpfen, sodass ihre politische Teilhabe praktisch zum Erliegen kam.[2] Die besonders privilegierten Familien setzten sich in der Folge immer weiter vom Rest der Bevölkerung und auch den Hofbesitzern ab und bildeten die herrschende Schicht, die ihre Machtansprüche im Zweifelsfalle auch durch Einsatz ihrer Söldnerheere durchzusetzen wusste. Ab Mitte des 14. Jahrhunderts wird der Titel Häuptling üblich, seine Träger verstanden ihn nun als Standesbezeichnung.[2]

Die Macht der Häuptlinge stützte sich vor allem auf ihren familiären Besitz. Aus den Steinhäusern entwickelten sich nun Türme und Burgen. Auch steinerne Kirchen wurden als Herrschaftszentrum instrumentalisiert.[3] Neben ihrem militärischen Nutzen zeugt der (Aus-)Bau von Burgen auch von einem erstarkenden Standesbewusstsein: Die Häuptlinge rückten sich so in die Nähe des Adels wie er im übrigen Deutschen Reich existierte und verstärkten damit ein weiteres Mal die Kluft zu den Bauern, die nun als Untertanen, betrachtet wurden.[4] Die Häuptlinge konnten es dabei durchaus mit den anderen Adeligen niederen Ranges außerhalb (Ost-)Frieslands aufnehmen, was ihren Reichtum betraf, ihre Freiheit und Unabhängigkeit.[5]

Neben ihren bisherigen Familiensitzen bzw. Steinhäusern, die sich praktisch ausschließlich im Norder Umland konzentrierten, ließen die Häuptlinge weitere Bauten am Marktplatz errichten, ohne ihre bisherigen Stammsitze aufzugeben.[6] So war etwa der Engenahof ursprünglich im Besitz der tom Brook.

Steuern blieben unter der Herrschaft der Häuptlinge weiterhin unbekannt, einen großen Teil ihres Lebensunterhalts gewannen sie durch Seeraub und Förderung der Piraterie, vor allem der Vitalienbrüder unter dem berüchtigten Klaus Störtebeker.[7] Aus der Zusammenarbeit zogen beide Seiten einen Nutzen: Die Vitalienbrüder brachten Kriegserfahrung und Flexibilität mit sich, vor allem aber war ihr Einsatz im Unterschied zu dem gewöhnlicher Söldner enorm günstig, machten sie doch Beute auf eigene Rechnung und verlangten keinen Sold und keine Verpflegung. Die Häuptlinge dagegen boten einen sicheren Unterschlupf vor Verfolgung sowie einen Absatzmarkt für gekaperte Waren – beides grundlegende Voraussetzungen für den Aufbau einer neuen Operationsbasis. Das Fördern der Piraterie blieb selbstredend nicht ohne Folgen und ließ die mächtige Hanse gegen Ostfriesland militärisch intervenieren. 1408 zerstörten beispielsweise Streitkräfte der Hansestadt Hamburg die Ennenburg.

Neben der Piraterie war auch das Ausnutzen des Strandrechts ein wichtiger Einkommenszweig. Das Strandrecht besagt, dass angestrandete Waren in das Eigentum des Grundbesitzers übergehen. So führten nicht wenige Häuptlinge vorbeifahrende Schiffe durch falsche Leuchtfeuer in die Irre, was das Stranden dieser zur Folge hatte. Weitere Einnahmequellen für die Häuptlinge bildeten bäuerliche Eigenwirtschaft sowie Verpachtung von Höfen und Ländereien, Teilhabe am Fernhandel und zunehmend auch der Verkauf ihrer Schutzgewalt an die Untertanen.[8]

Recht bald begannen sich auch zwischen den Häuptlingsfamilien Fehden zu entwickeln, die bis zu kriegerischen Auseinandersetzungen anwachsen sollten, so etwa die Schlacht von Bargebur, bei der die Idzinga ihre Vormachtstellung in Norden verloren. Waren die tom Brook lange Zeit die mächtigste Familie, wurden sie später von Focko Ukena besiegt und dieser wiederum von Ulrich Cirksena. Letztendlich setzten sich die Cirksena als dominierendes Geschlecht durch. Mit ihrem Aufstieg endete die relativ kurze Zeit der Häuptlingsherrschaft in Ostfriesland. 1464 erhob Kaiser Friedrich III. Ulrich Cirksena in den Stand eines Reichsgrafen und belehnte ihn mit Ostfriesland als Reichsgrafschaft. Unter seiner Landesherrschaft konnten Bauern und Häuptlinge wesentlich beruhigt werden: Die Zeit der landesinternen Fehden ging in seinem Machtbereich zu Ende. Einigen Häuptlingsfamilien gelang es, in den Dienstadel aufgenommen zu werden.[9] Damit büßten sie ihre Machtposition nicht vollends ein und bekleideten auch in Zukunft wichtige Ämter. So stellten beispielsweise die Loringa mehrere Bürgermeister von Norden.

Norder Häuptlingsgeschlechter

Das für Norden lange Zeit dominierende Häuptlingsgeschlecht waren die Idzinga, die nach der Schlacht von Bargebur von den Cirksena verdrängt wurden. Neben ihnen gab es weitere, lokal einflussreiche Geschlechter wie die Uldinga oder die Aldersna. Aber auch Geschlechter aus anderen ostfriesischen Regionen hatten politische Bedeutung in Norden inne, so etwa die tom Brook oder die Manninga.

Einzelnachweise

  1. Schmidt, Heinrich (2005): Das östliche Friesland um 1400. Territorialpolitische Strukturen und Bewegungen, Trier, S. 87
  2. 2,0 2,1 Schmidt, Heinrich (2006): Piraten gern gesehen. In: Damals. Das Magazin für Geschichte und Kultur, 38. Jahrgang, Ausgabe April, Leinfelden-Echterdingen, S. 32
  3. Schmidt, Heinrich (1999): Mittelalterliche Kirchengeschichte. In: Oldenburgische Kirchengeschichte, Oldenburg, S. 120ff.
  4. Schmidt, Heinrich (2005): Das östliche Friesland um 1400. Territorialpolitische Strukturen und Bewegungen, Trier, S. 89
  5. Salomon, Almuth (2004): Führungsschichten im Jeverland, Oldenburg, S. 80
  6. Cremer, Ufke (1955): Norden im Wandel der Zeiten, Norden, S. 27
  7. Salomon, Almuth (2004): Führungsschichten im Jeverland, Oldenburg, S. 7
  8. Schmidt, Heinrich (2006): Piraten gern gesehen. In: Damals. Das Magazin für Geschichte und Kultur, 38. Jahrgang, Ausgabe April, Leinfelden-Echterdingen, S. 33
  9. Schmidt, Heinrich (2005): Das östliche Friesland um 1400. Territorialpolitische Strukturen und Bewegungen, Trier, S. 109

Siehe auch