Leegemoorgesellschaft

Aus Norder Stadtgeschichte
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Leegemoorgesellschaft

Basisdaten
Gründung 12. Oktober 1632
Auflösung -
Rechtsform Genossenschaft
Hauptsitz keiner

Die Leegemoorgesellschaft ist ein seit Mitte des 16. Jahrhunderts auf genossenschaftlicher Basis geführter Verband von Interessenten (vergleichbar mit heutigen Aktionären). Die Leegemoorgesellschaft ist neben der Theelacht und der Altenbürgerlande eine der drei bis heute noch tagenden Norder Genossenschaften. Als offizielles Gründungsdatum wird der 12. Oktober 1632 angegeben, jedoch findet die Genossenschaft bereits in einem Erbpachtvertrag vom 23. April 1562 indirekt als Ordonnanz der Leegemoorgebräucher Erwähnung.

Geschichte

Nach Beendigung der Eindeichung des Süderneulandes im Jahr 1556 durch Gräfin Anna, damals Herrscherin über Ostfriesland, standen umfangreiche, neue Landflächen zur Urbmarmachung zur Verfügung. Die alte Deichlinie entlang der heutigen Bundesstraße wurde erheblich gen Leybucht erweitert. Südwestlich der Addinggaste befindliche Moorflächen, die durch den Nachfolger und Sohn Annas, Graf Edzard II. im Jahr 1562 an wohlhabende Norder Bürger, die ein Vermögen von mindestens 1.000 Reichstalern besaßen, als Gemeinweide in Zeitpacht vergeben wurde. Den Bürgern stand es frei, die ihnen zur Verfügung gestellten Flächen zu bewirtschaften und daraus Früchte zu ziehen. Sie mussten dafür lediglich eine regelmäßige Pacht an den Grafen entrichten.[1] Ihre Herkunft war äußerst unterschiedlich, es finden sich Ratsherren, Bürgermeister und wohlhabende Bauern, aber auch einfache Kaufmänner und Handwerker darunter.[2]

Die Größe der verpachteten Fläche betrug 95 Grasen aus denen 95 Anteile der Leegemoorgesellschaft wurde. Diese wurden auf die entsprechende Anzahl von Interessenten verteilt. Nachdem dies bereits den Altenbürgerlande gelungen war, konnten auch die Leegemoorer Landgebräucher (Landnutzer) 1632 Graf Ulrich II. überzeugen, ihnen das Land in Erbpacht zu überlassen. Dadurch wurden sie zwar nicht Eigentümer, erwarben aber das vererbbare Recht, das Land dauerhaft und nicht nur für einige Zeit in Pacht nehmen zu dürfen, was in den wirtschaftlich schweren Jahren des Dreißigjährigen Kriegs eine deutlich bessere Absicherung für die Interessenten darstellte. Zur gemeinsamen Nutzung und Verwaltung gründeten sie die Leegemoorgesellschaft. Auch hier nahmen sie sich die Altenbürgerlande als Vorbild. Neben dem Erfolg dieser Genossenschaft war hierbei wohl auch ausschlaggebend, dass bereits mehrere Leegemoorgebräucher Mitglied der Alten- und Neuenbürgerlande waren.[2]

Die Weiden des Leegemoors wurden seit jeher überwiegend zur Viehhaltung genutzt. Zur Aufsicht beschäftigte man einen Hirten, der im Hirtenhaus der Gesellschaft wohnte. In einem Raum dieses Hauses hielt die Leegemoorgesellschaft früher auch ihre jährlichen Treffen statt.[1] Das Gebäude ist bis heute erhalten und befindet sich am Ende der Zinngießerstraße. An das Hirtenhaus erinnert auch der Straßenname Zum Hirtenhaus. Geleitet wurde die Genossenschaft von zwei sogenannten Ältesten Vierten und zwei Jüngsten Vierten. Die ersten von ihnen waren der Johan Janßen, Dirk Theißen, Willem Tekenborgh und Sibe Gerdts.[2]

Im Zuge veränderter wirtschaftlicher Verhältnisse nach dem Zweiten Weltkrieg begann die Bedeutung der Leegemoorgesellschaft als Weidegesellschaft zu schwinden. Das Hirtenhaus wurde 1972 an den letzten Hirten Bonno Groeneveld verkauft, die Weiden an die Landwirte Smidt und Steffens verpachtet. Durch Ausweisung der alten Leegemoorweiden zu Gewerbeflächen ab 1974 erschlossen sich für die Gesellschaft jedoch neue Einkommensmöglichkeiten und die Pachtverträge mit den Landwirten wurden zurückgenommen.[3] Bis heute schafft es die Leegemoorgesellschaft, ansehnliche Renditen zu erwirtschaften und halbjährich an die Anteilseigner auszuschütten. Die letzte, bis dahin unverpachtete Fläche der Leegemoorgesellschaft wurde 2007 als Gewerbefläche vermarktet.

Sitten und Gebräuche

An jedem 2. Februar (Maria Lichtmess) im Jahr trifft sich die Leegemoorgesellschaft zur Abrechnungsversammlung, an der alle Anteilseigner teilnehmen können. Diese können grundsätzlich auch einen bevollmächtigten Vertreter (Lepelgasten) zur Versammlung schicken. In der Abrechnungsversammlung werden alle Angelegenheiten, die die Leegemoorgesellschaft betreffen, verhandelt. Während dieser Ofrekensversammeln darf ausschließlich ostfriesisches Plattdeutsch gesprochen werden. Frauen sind grundsätzlich nicht bei der Versammlung erlaubt; dies ist ihnen lediglich alle 25 Jahre anlässlich der Jubiläen gestattet. Auch die Servicekräfte dürfen ausschließlich männlich sein. Den Frauen wird jedoch bei jeder Abrechnungsversammlung in einer Ansprache (Proot för de Frolü) gedacht.

Bedingt durch die COVID 19-Pandemie konnte diese Tradition im Februar 2021 erstmals seit vielen Jahren nicht stattfinden. Mit Ausnahme des Jahres 1945 war dies einmalig in der Geschichte. In letztgenanntem Jahr verzichtete man während der allgemein schlechten Versorgungslage auf das Festessen und spendete die eingesparten 300 Mark dem Winterhilfswerk.[4]

Seit Mitte des 19. Jahrhunderts fanden die Versammlungen in verschiedenen Gastwirtschaften und Hotels statt. Seit etwa 1850 tagte man im Vossenhus, dann ab ungefähr 1875 im Reichshof. Später verlegte man die Zusammenkunft in die Gastwirtschaft Zum Elephanten und dann in den Lentzhof. Bis zur Schließung des Deutschen Hauses traf man sich dort und seitdem wieder im Reichshof. Neben einem traditionell deftigem Essen, dem Leegemoorschmus auf Kosten der Gesellschaft, wird gemeinsam Tabak aus langen, weißen Tonpfeifen geraucht. Dazu wird ein Doornkaat, versehen mit einem Magenbitterschnaps, serviert. Angestoßen und getrunken wird up Leegemoors Wohlfahrt, also auf das Wohlergehen und Fortbestehen der Genossenschaft.[5]

Verwaltung

An der Spitze der Genossenschaft stand ursprünglich ein Gremium von vier Männern, deren Zahl sich aber ab Mitte des 17. Jahrhunderts und bis heute fortbestehend auf zwei, dem Ältesten und Jüngsten Vierten, reduzierte. Neben den Vierten, denen die Verwaltung oblag, gibt es noch die Technische Deputation (12 Mitglieder) und die Revisionskommission (3 Mitglieder). Die Mitglieder letztgenannter Kommission durften nicht zugleich Vierte sein.[6]

Der Älteste Vierte hat die Aufgabe, die Interessenten und ihre Anteile bzw. Besitztümer an der Genossenschaft in einem Lagerbuch festzuhalten. Er ist damit auch für die die Umschreibung der Weiden auf die neuen Besitzer verantwortlich. Dies kommt insbesondere durch Vererbungen zustande, Verkäufe sind ausgesprochen selten. Zudem führt er die Kasse und hat dabei die Ein- und Ausgaben zu erheben. Weiterhin vertritt er die Gesellschaft nach außen und hat den Vorsitz bei der Generalversammlung inne. Nach Ablauf seiner einjährigen Amtszeit muss er die Kasse an einen neuen Ältesten Vierten übergeben und deren Richtigkeit von einem Bürgen bezeugen lassen. Im Verhinderungsfalle wird er in allen Angelegenheiten von dem Jüngsten Vierten vertreten.[6] Seit 1907 wechselte das Amt innerhalb der Wahlperiode stetig untereinander, sodass sich der Älteste und der Jüngste Vierte jedes Jahr in ihren Posten abwechselten.[7]

Die Technische Deputation unterstützt die Vierten bei der Verwaltung und in allen sonstigen Angelegenheit, die die Belange der Leegemoorgesellschaft tangieren.[8] Die Revisionskommission dient vor allem der Überprüfung die Abrechnungen der Generalversammlung sowie die den Mitgliedern obliegenden Vollmachten zu prüfen.[9]

Persönlichkeiten

Der Leegemoorgesellschaft gehörten seit ihrem Bestehen eine Vielzahl an bedeutenden Norder Persönlichkeiten an, was insbesondere an ihrer vornehmen Geschichte begründet ist. Bedeutende Mitglieder waren der Sohn des Begründers der Firma Doornkaat, Fiepko ten Doornkaat Koolman, Sanitätsrat Gustav Steinbömer, Buchdruckereibesitzer Heinrich Soltau sowie Bäckerei- und Konditorobermeister Jan Tjarks ten Cate.

Der Charakter der Gesellschaft hat sich in der heutigen Zeit dahingehend geändert, dass sich aus einer ländlichen Organisation eine Kapitalgesellschaft wurde, die jedoch nach wie vor auf genossenschaftlicher Basis geführt wird. Die Stadt Norden nahm von der Gesellschaft seit den 1980er Jahren immer mehr Flächen in Erbpacht, sodass aus dem als Weideland genutzten Gebiet mit der Zeit der heutige Gewerbe- und Dienstleistungspark Leegemoor entstanden ist. Dadurch ist es der Gesellschaft als einzige der drei Traditionsgesellschaften möglich, mehr als nur symbolische Beträge an ihre Anteilseigner auszuzahlen.

Trivia

Am 13. Juli 1639 erwarb Graf Ulrich II. insgesamt 1 1/2 Gras Land für 300 Gulden von der Leegemoorgesellschaft. Aus der Verpachtung dieser Lande erzielte Erlöse ließ er dem nach ihm benannten Ulrichsgymnasium zukommen lassen.[10]

Der Landkreis Aurich hält als Rechtsnachfolger des Landkreis Norden bis heute Anteile an der Leegemoorgesellschaft inne. Hierdurch erwirtschaftet dieser jährliche Dividenden von rund 3.000 Euro.[11]

Literatur

  • Rack, Eberhard (1982): Up Leegemoors Wohlfahrt, Norden

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 Schreiber, Gretje (2006): Norder Gemeinweiden im ausgehenden Mittelalter bis zur Neuzeit. In: Emder Jahrbuch für historische Landeskunde Ostfrieslands, S. 46
  2. 2,0 2,1 2,2 Rack, Eberhard (1982): Up Leegemoors Wohlfahrt, Norden, S. 4
  3. Rack, Eberhard (1982): Up Leegemoors Wohlfahrt, Norden, S. 33
  4. Haddinga, Johann (1988): Stunde Null. Ostfrieslands schwerste Jahre, Norden, S. 38
  5. Rack, Eberhard (1982): Up Leegemoors Wohlfahrt, Norden, S. 29
  6. 6,0 6,1 Rack, Eberhard (1982): Up Leegemoors Wohlfahrt, Norden, S. 5
  7. Rack, Eberhard (1982): Up Leegemoors Wohlfahrt, Norden, S. 28
  8. Rack, Eberhard (1982): Up Leegemoors Wohlfahrt, Norden, S. 6
  9. Rack, Eberhard (1982): Up Leegemoors Wohlfahrt, Norden, S. 7
  10. Canzler, Gerhard (2005): Die Norder Schulen, Weener, S. 22
  11. Beteiligungsbericht des Landkreis Aurich aus dem Jahr 2017

Siehe auch